Johannadorn Überschrift
Johannadorn Biographie
Über Johanna Dorn
Zur Malerei von Johanna Dorn-Fladerer
Die Graphikerin
Bücher über Johanna Dorn

Zur Malerei von Johanna Dorn-Fladerer

Franz Fuhrmann

Mein Leben gehört der Farbe, ihrer künstlerischen
Zusammenstellung und Verarbeitung im Bild:
Was
man Gestaltung nennt (A. Hoelzl)

Wenn man Johanna Dorns Lebenswerk in seiner Gesamtheit überblickt, so kommt man zur Überzeugung, einer Malerin von hohen Graden gegenüberzustehen. Dieses Urteil stellt sich vor allem dann ein, wenn sich mit Malerei vornehmlich der Begriff der Farbe verbindet. Als „Fest der Farbe“ darf man wohl jedes einzelne ihrer Bilder rühmen. Aus Johanna Dorns „Lebenserinnerungen“ lässt sich möglicherweise erkennen, wann sie dieses Urerlebnis der Farbe hatte. Denn vielleicht brachte jener Schreck über die Schönheit eines farbigen Bildes in einem Märchenbuch die tief im Herzen schlummernde Veranlagung des empfindsamen Mädchens erstmals an den Tag. Da aber die Künstlerin in ihrer Jugend nur vom Zeichnen spricht, ohne die Farbe zu erwähnen und in Wien zuerst die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt besuchte, dürfte doch die Lehre bei den Professoren Larwin und Fahringer und die Begegnung mit  Herbert Boeckl an der Wiener Akademie den entscheidenden Einfluß auf die Erweckung und Ausbildung des farblichen Bewusstseins ausgeübt haben. Dazu kam die Kenntnis und Auseinandersetzung mit der modernen Malerei im Allgemeinen. Denn ein Hauptkriterium der Malerei seit dem Impressionismus ist – nach der Epoche der den spannungserfüllten Ausgleich zwischen Licht und Finsternis suchenden Hell-Dunkelmalerei – die Dominanz des (absoluten) Farbwertes der Farbe“, in dem Farbmaterie und „spezifisches Farblicht“ übermächtig zur Geltung kommen. Für diesen hervorstechenden Charakter der „modernen“ Malerei scheint mir das Werk Johanna Dorns ein hervorragendes Beispiel abzugeben.

Der von Anfang an ungemein sichere Umgang mit den Farben und ihrem Zusammenklang, der im Laufe der Entwicklung immer bewusster wird, wirft die Frage auf, ob sich die Künstlerin eingehender mit Farbentheorie beschäftigt hat, oder – was eher anzunehmen ist – ob er Ergebnis einer besonderen von Werk zu Werk sich entfaltenden Naturbegabung ist. Denn es fällt auf, wie z.B. bei dem Porträt der „Enkelin Verena“ von 1981 die „Urfarben“ Blau, Gelb, Rot und Grün als breite Pinselstriche nebeneinander gesetzt sind, aus denen dann rein oder vermischt und in Verbindung mit den Polarwerten Weiß und Schwarz das Bild entwickelt wird. Dieses geradezu provokative Aufzeigen der vier Hauptfarben wirkt wie eine experimentelle Darstellung der Farbenlehre, wie sie von Goethe und Runge ausgegangen ist und über Bezold, Allesch, Bernays, Hoelzel, Conrad-Martius u.a. bis zu Heimendahl ausgebaut wurde. Was in diesem Bild der „Verena“ exemplarisch zum Ausdruck kommt, bestimmt in auffallender Weise den Charakter sämtlicher Gemälde Johanna Dorns im wechselnden Zusammenspiel der bunten Hauptfarben und ihrer primären Mischung. Diesem intensiven Verhältnis zur Farbe – dem Klang für das Auge – dürfte die Malerin auch das Angebot Oskar Kokoschkas zu verdanken gehabt haben, eine Assistentenstelle an seiner „Schule des Sehens“ in Salzburg anzunehmen. War es doch das Hauptanliegen dieses Meisters der Farbe, Augen und „Hände“ seiner Schüler für die Welt der Farben zu öffnen. Die Farbe und ihre Entfaltung wird deshalb der erste Gesichtspunkt sein, unter dem wir das Werk Johanna Dorns betrachten wollen.

Der zweite Aspekt soll jenem künstlerischen Bereich gelten, der den Schwerpunkt ihres Schaffens bildet: dem Porträt. Wieder lassen sich Ansätze dafür in der frühesten Kindheit finden, wenn die Malerin davon berichtet, dass sich Risse in der Decke ihres Schlafzimmers in ihrer Phantasie zu Köpfen und Figuren formten. Daß die Künstlerin selbst als zentrales Anliegen ihrer Malerei das Porträt angesehen hat, dafür sprechen die Überlegungen zu diesem Thema, die sie ihren Lebenserinnerungen am Schluß hinzugefügt hat. Darin heißt es, sie habe mit 21 Jahren ihr erstes Porträt gezeichnet (nicht gemalt und sei erschrocken gewesen, wie „treffsicher, charakteristisch und ähnlich“ es ausgefallen ist. Schade, dass dieser erste Beweis ihrer hohen Porträtkunst verlorengegangen ist. Welchen Stellenwert das Porträt im Schaffen Johanna Dorns einnimmt, geht schon daraus hervor, dass annähernd die Hälfte aller Farbabbildungen in diesem Buch dieser Bildgattung gelten. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Einzelbildnisse, meist als Halbfiguren in Vorderansicht; nur drei Doppelbildnisse und ein Familien-Gruppenbild finden sich darunter.

Das gemalte, gezeichnete oder druckgraphische Bildnis – vor Erfindung der Photographie führende Aufgabe der neuzeitlichen bildenden Kunst – hat seine Bedeutung in der Kunst des 20. Jahrhunderts ziemlich eingebüßt, obwohl es auch von großen Künstlern noch gepflegt wird.
Umso höher ist der künstlerische Einsatz zu bewerten, den Johanna Dorn auf diesem Gebiet geleistet hat. Porträtkunst als „abbildende, gestaltende und deutende Darstellung eines bestimmten Menschen“ steht und fällt mit der Erkennbarkeit des betreffenden Menschen im Bildnis. Das kann stilistisch und formal auf sehr verschiedene Art erreicht werden und durchaus nicht nur auf genaueste naturalistische oder realistische Weise. Im Gegenteil, gerade, wenn es dem Künstler darauf ankommt, Charakter und Wesenskern, die geistige und seelische „Mitte“ eines Menschen, zu „treffen“ und im Auge, Gesicht, Kopf, in den Händen und in der Körperhaltung sichtbar werden zu lassen, kann eine elementare, auf Einzelheiten verzichtende Gestaltung, die das im Augenblick zu entschwinden drohende Wesenhafte der Person mit scheinbar flüchtigen – in Wahrheit einzig angemessenen – Pinselstrichen einzufangen und festzuhalten sucht, das geeignetere Ausdrucksmittel sein. Gesellt sich noch die erregende und deutungsmächtige Schlagkraft der Farbe hinzu, so können anschauliche „Psychogramme“ entstehen, wie sie Johanna Dorn in eindrucksvoller Weise gelungen sind. Denn offensichtlich verfügte sie abgesehen von ihrem technischen Rüstzeug, über ein großes psychologisches Einfühlungsvermögen und über jenen „warmherzigen, aber konzentrierten „Röntgenblick“, der an ihr festgestellt wurde, und ohne den ein wahrhafter Porträtist scheitern müsste.

Landschaften – hauptsächlich Orts- und Städtebilder – und einige Stilleben – vor allem Blumenbilder – runden das Werk der Malerin ab. Sie sollen nicht vernachlässigt werden, da sich darunter herausragende und für die künstlerische Entwicklung aufschlussreiche Beispiele befinden. Bevor auf Betrachtung und Analyse einer Reihe von Bildern eingegangen wird, scheinen ein paar Bemerkungen zur „Vorgangsweise“ angebracht. Der Autor hatte anläßlich eines Besuches mit seiner Frau im vergangenen Sommer Gelegenheit, die Künstlerin noch bei Lebzeiten in ihrem behaglichen Heim in Wernstein kennenzulernen. Dabei konnte er auch den originalen Bilderbestand im Atelier besichtigen. Beide waren wir stark beeindruckt und bedauerten, der Künstlerin und ihrem Werk nicht schon früher begegnet zu sein. Meine Frau erwähne ich deshalb, wie sie sich als ehemalige Schülerin der Wiener Akademie noch gut an das zarte, mädchenhafte Wesen Johanna Dorn im Kunstpalast am Schillerplatz erinnern kann.
Der Besuch in Wernstein kam zustande, weil die Künstlerin mich gebeten hatte, einen Beitrag über ihre Malerei für ein Buch zu schreiben, das zu ihrem 75. Geburtstag erscheinen sollte. Ich glaubte der Bitte entsprechen zu sollen, zögerte aber, weil ich mich ohne ausreichende Kenntnis der näheren umstände und einer Auseinandersetzung mit dem Werk für zu wenig kompetent hielt. In weiteren Begegnungen mit der Künstlerin und ihren Bildern hoffte ich diesen Mangel beheben zu können. Da raffte der Tod völlig unerwartet Johanna Dorn knapp vor Vollendung ihres 75. Lebensjahres hinweg. Der Gedanke, den Band- jetzt als Gedenkbuch an eine „faszinierende Frau und Künstlerin“ herauszubringen, blieb bestehen, nur die Quelle, aus der man noch zu schöpfen hoffte, war versiegt. So konnte dieser Beitrag – auch aus Zeitgründen – nur an Hand der vom Verlag zur Verfügung gestellten Farbreproduktionen und mitgelieferten Manuskripte geschrieben werden. Allein die hervorragende Qualität der Reproduktionen erleichterte das Verfassen des Textes, dessen Unvollkommenheit man den nicht vorhersehbar gewesenen „Umständen“ anrechnen möge. Die Auswahl aller reproduzierten Bilder und die zeitliche Einordnung der nicht datierten Werke hat die Künstlerin noch selbst vorgenommen.
Betrachtung und Analyse beziehen sich vorwiegend auf die Porträts. Landschaften und Stilleben werden fallweise eingefügt. Versucht man das Gesamtwerk in seinem Zeitlichen Ablauf zu ordnen, so scheint sich eine Gliederung in fünf Perioden anzubieten: 1.Lehre und Tradition (vierziger und fünfzige Jahre), 2.Durchbruch und Krise (Ende der fünfziger Jahre, sechziger Jahre), 3.Neue Experimente (frühe siebziger Jahre), 4.Reife Meisterschaft (späte siebziger Jahre und die achtziger Jahre), 5.Das letzte Jahr (1988).

Diese Gliederung berücksichtigt nur die künstlerische Entwicklung der Malerin, entspricht aber im wesentlichen auch dem Rhythmus ihres Lebens. Auf die Jugend näher einzugehen, erübrigt sich, da gerade diese Zeit in den „Lebenserinnerungen“ ausführlich geschildert wird.

Lehrjahre und Tradition

Noch in den Akademiejahren sind Arbeiten wie die Köpfe von Vater Dorn und Herbert Fladerer, dem späteren Mann der Künstlerin, sowie das Kniestück des Jägers Hammerling (1940) entstanden. Am stärksten in der naturalistischen Tradition verharrt das Bildnis des alten Jägers, bei dem es der jungen Malerin auf genaue Erfassung des Räumlichen und Stofflichen sowie der Einzelheiten angekommen ist. Die Verräumlichung wird durch die leichte Schrägstellung des Körpers erreicht, der auf den glatten Hintergrund Schatten wirft, das Stoffliche wird sichtbar in der Art der Wiedergabe von Kopf, Händen und Kleidung, wobei Rock und Weste eine gewisse Härte eignet, die in der scharfen Grenzlinie zwischen linkem Arm und Hintergrund ihre Entsprechung findet. Das Bestreben, den Einzelheiten gerecht zu werden, zeigt sich u.a. an den Knöpfen der Weste, dem Eichenblatt-Aufschlag am Kragen, der Hutfeder und dem Monogramm auf der Schnupftabakdose. Die Farbgebung ist verhalten und auf dem Zweiklang Braun – Grün aufgebaut, aus dem allein sich das weißbärtige Gesicht entschieden abhebt. Die Stärke dieses Frühwerkes liegt zweifellos in der sicheren Erfassung der Physiognomie mit dem festen Blick der Augen, die mit der Steifheit des Körpers kontrastiert. Eine kommende Meisterin der Charakterdarstellung kündigt sich an.
Die Kopfstudie des Vaters (1940) verrät gesteigertes Interesse am Kolorit, während die Anatomie noch Schwierigkeiten bereitet (Sitz des rechten Auges).
Erhöhte Aufmerksamkeit verdient die Porträtstudie Herbert Fladerers: Die Versunkenheit des Graphikers wird anschaulich vermittelt, die alles Unwesentliche ausschaltende Komposition erstmals in einer reichen Farbigkeit vorgetragen; diese erfasst auch den Hintergrund und lässt die Körperlichkeit des Dargestellten ganz in die bis zum Rande gefüllte Bildfläche eingehen. Wenn das Bild tatsächlich so früh, wie die Künstlerin angibt, entstanden ist (um 1940), so nimmt es die spätere Charakterisierungskunst und den voll entwickelten ganzheitlichen Farbensinn Johanna Dorns auf erstaunliche Weise vorweg. Das Bestreben, die Raumtiefe zugunsten der Bildfläche zu verdrängen, wird auch in dem bereits 1939 entstandenen Früchte-Stilleben erkennbar, das eine gewisse Nähe zu Faistauer verrät. Aus der Zeit unmittelbar nach Abschluß der Akademie stammen mehrere Porträts, unter denen die „Alte Frau mit Flügelhaube“ (um 1943) hervorzuheben ist. Wahrscheinlich handelt es sich um die in den Lebenserinnerungen erwähnte Vickl Marie. Das Brustbild dieser Frau – vom schmalen Hintergrund abgesehen die ganze Bildfläche ausfüllend – tritt uns mit einer solchen Unmittelbarkeit entgegen, dass man sie leibhaftig vor sich zu haben glaubt. Dabei gelingt es der Malerin, dem Schwarz der Kleidung durch wenige aufgesetzte Farbstriche die Eintönigkeit zu nehmen und es zur formalen Einheit mit dem Inkarnat heranzuführen. Beachtlich ist die stoffliche Wiedergabe des Halsschmuckes. Um die Figur vom Hintergrund klar abzuheben, bleibt dieser – tonlich dem Inkarnat verwandt – einfarbig und glatt.
Warn in den bisherigen Bildern Einflüsse der Lehrer und eine Art von zum Expressionismus neigendem Impressionismus erkennbar, so tritt die Auseinandersetzung mit diesem von Licht und lichthaltiger Farbigkeit bestimmten Stil in den Mädchenbildern „Martha Peschl“ (1949), „Nichte Ingrid“ (1952) und der Ansicht von „Schärding“ (1952) deutlich in Erscheinung. Während die in weißlichen und gelblichen Tönen sich äußernde Helligkeit und Durchsichtigkeit vorzüglich mit der Darstellung des Mädchenhaften korrespondiert, begegnet man mit „Schärding“ einem auf feinste Farbabstufungen abgestimmten Gemälde, das Johanna Dorn auch als vorzügliche Landschaftsmalerin ausweist. Dabei verbindet sich bei diesen Porträts wie dem Städtebild mit der Lichthaftigkeit und duftigen Farblichkeit noch eine auffallende, adäquate Feinheit von Strich und Zeichnung.

Durchbruch und Krise

Bereits in dem aus Blau-, Grün und Brauntönen entwickelten Bildnis Professor Gieses (um 1956), eines Schwagers der Künstlerin, fassbar, bricht sich, voll einsetzend mit dem Porträt Alfred Kubins (1958), eine Malweise Bahn, in der kompakte, breitflächig hingestrichene Farben Figur und Hintergrund zusammenwachsen lassen und die kühlen und dunklen Töne der Farbskala bis hin zum Schwarz Vorrang haben. Wie aus einer blauenden Farbmasse geboren, gegen die ein von Gelb ins Rosa spielendes Inkarnat gesetzt ist, dessen Rosaton hauchartig auch über dem Blau des Rockes liegt, scheint das Brustbild Kubins in einer unbestimmten Zone der Bildfläche zu schwimmen und aus ihr auf- und zurückzutauchen. Der verlöschende Atem eines langen schöpferischen Lebens hat ergreifende dauernde Gestalt angenommen. Dieses vom Unterrichtsministerium in Auftrag gegebene und erworbene Bild brachte zugleich die erste öffentliche Anerkennung für Johanna Dorn. Dies war für die triste wirtschaftliche Situation der Malerin umso bedeutsamer, als sie in diesen Jahren auch eine schwere psychosomatische Krise zu überwinden hatte. Im Dunkel von Porträts wie des Sohnes „Thomas“ (um 1960), des Neffen „Horst Hebeisen“ (um 1962) und des Schriftstellers „Otto Haubner“ (um 1964) dürfte dieser Zustand körperlich-seelischer Bedrängnis einen Niederschlag gefunden haben.
Die Reihe der finsteren Bilder wird allerdings – wenn die einer Zwischenphase der Gesundung entsprechende Datierung „um 1961“ zutrifft – durch das Porträt „Dr. Rudolf Erich“ unterbrochen, in dem hellere und kräftig leuchtende Buntfarben eingesetzt sind, und erstmals konturenumreißende Ritzlinien, wie auch im „Hebeisen“-Bild, aufscheinen. Erregung durchzitterte das Bildnis Otto Haubners, bei dem die nur angedeutete schwarze Gestalt des Mannes wie aus farbigen Turbulenzen heraussteigt.
Den Schlusspunkt dieser Periode des Durchbruchs, aber auch der Prüfung und Läuterung, setzt das erschütternde Selbstbildnis von 1966. Ein Sitzmotiv Rodins, in Anlehnung an Henry Moore abgewandelt, verharrt die Künstlerin in tiefer Versunkenheit als bleiche, schwarzumhüllte Gestalt, klar und abgesetzt von einem feindseligen ockerfarbigen Hintergrund: ein Bild wohl zurückschauender Angst und Verzweiflung. Denn im gleichen Jahr ging die schwierige, in mancher Hinsicht aber auch schöne Zeit in der Abgeschiedenheit von Kneiding im Sauwald zu Ende, als die Familie Fladerer-Dorn in ihr neues Haus in Wernstein übersiedelte.

Neue Experimente

In Ihrer kurzen Abhandlung über das Porträt kommt Johanna Dorn auch auf die Verunsicherung zu sprechen, die sie und ihre Kollegen über die Vielzahl der Richtungen in der modernen Malerei bereits auf der Akademie befallen hat. Und sie erwähnt, dass ihre Malerei zeitlebens vom Experimentieren erfüllt war. Grundsätzlich strebte sie nach Aufhebung der Räumlichkeit im Bild und nach enger Verbindung des „Gegenstandes“ mit dem Hintergrund, wobei dessen Farben immer kräftiger werden und mit dem „Gegenstand“ im Vordergrund auf eine Ebene zu stehen kommen sollten. Johanna Dorn war im Sinne Cézannes bestrebt, das Bild zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen als autonomes, farbiges Gebilde.
Auf diesem, wie wir gesehen haben, bereits sehr früh beschrittenen Weg schalten sich nach der düsteren Periode wie als Klärungsprozeß die Bilder der frühen siebziger Jahre ein. Sie sind einerseits, wie das Bildnis „Alois Riedl“ (1971) von Modigliani inspiriert und erinnern anderseits an die Wiener Sezession – „Frau beim Apfelschälen“ (1972) – und an Jugendstil Elemente – „Elisabeth Leithner“ (1973), deren vereinfachte Ornamente sich auch mit einer Kinderfigur in der Art der Paula Modersohn-Becker verbinden können – „Birgit“ um 1972. Aus solcher Auseinandersetzung mit Vereinfachung, klarer Fläche, Umrisshaftem und Zug zum Ornamentalen vermag dann ein Porträt wie jenes des Kommerzialrates Heindl (1974) zu erstehen: abgestimmt auf wenige, vornehm wirkende Kühle Zwischenfarben, die durch eine groß gemusterte Krawatte und tulpenähnliche helle Gebilde im Hintergrund belebt werden und wahrscheinlich die Persönlichkeit charakterisieren sollen.

Reife Meisterschaft

Die Gesundung nach dem psychosomatischen Zusammenbruch, die Gesichertheit im eigenen Heim zu Wernstein, die steigende Anerkennung ihrer Arbeit, die 1975 durch die Verleihung des Professorentitels zum Ausdruck kam und die volle technische und ausdrucksmäßige Beherrschung ihrer malerischen Möglichkeiten führten Johanna Dorn in den achtziger Jahren qualitativ und quantitativ auf den Gipfel ihrer Kunst. Nunmehr blühen die Farben auf nach den immanenten Gesetzen ihres Eigenwesens und ihrer sich gegenseitig stützenden und steigernden Harmonie, ergreifen restlos Besitz von den Gestalten und mehr noch von den Hintergründen, die zu Interpreten des Charakters der Dargestellten ausreifen. Von dem Schlüsselbeispiel der „Enkelin Verena“ (1981) mit der Vierfarben-Skala war bereits die Rede. Hervorzuheben sind die Männerbildnisse des Landeshauptmannes Josef Ratzenböck, des Konsuls Wittrich (beide 1981), des Glaskünstlers Rudolf Kolbitsch und Peter Prachownys, eines Nachbarn der Familie Fladerer in Wernstein (beide 1962). Beim Bildnis des allseits bekannten, damals 53jährigen Landeshauptmannes darf man wohl mit Recht vermuten, dass die Künstlerin mit dem auf Rot- Grün als Dominante aufgebauten bunten Farbakkord des Hintergrundes Unternehmungsgeist, Initiative, Phantasie und Optimismus dieses Politikers zum Ausdruck bringen wollte.
Ebenso meisterlich sind die Porträts der beiden Architekten Wicke (um 1983) und Wörlen (um 1984): unterschiedliche Charaktere nach Physiognomie und Gewandung, doch durch den strengeren Bildbau, vor allem bei Wörlen, offenbar anschaulich zu ihrem Beruf in Beziehung gesetzt.
Ausgezeichnet präsentiert sich auch die geistige Beweglichkeit im Bildnis des Schriftstellers Friedrich Ch. Zauner (1986). Was formal sich schon beim Doppelbild „Andi und Susanne Buchwald“ (1980) abzeichnet, nämlich die geschlossene Farbfläche durch fahrige Strichlagen zu ersetzen und dadurch die Komposition lockerer und transparenter erscheinen zu lassen, lässt sich am Zauner-Porträt besonders gut erkennen.
Aber auch die Frauen- und Mädchenporträts gelingen der Künstlerin gut, obwohl man fast den Eindruck gewinnt, dass ihr die Männerbildnisse besser liegen. Was Fräulein Simone Würdinger über das Bild ihrer Schwester Eva (1982) und ihre eigenes (1983) schreibt und dabei über das Verhältnis Modell und Malerin äußert, kann man nur voll bestätigen. Und soweit ich Johanna Dorns Schwiegertochter Brigitte kennenlernen konnte, ist die schlanke, ruhige doch selbstbewusste Frau mit wachem Blick ausgezeichnet getroffen.
In dem Selbstbildnis in weißem Arbeitsmantel von 1983 – dem Jahr ihres 70. Geburtstages – tritt uns ein in sich ruhender, völlig anderer Mensch als 1966 entgegen. Eine, dem Gegenüber nur halb zugewandte Frau richtet ihr prüfend-fragendes Auge auf den Betrachter. Die Pinsel in den Händen, das Weinglas und Vogelgezwitscher lassen nicht auf Resignation, sondern auf Arbeitsfreude und Lebensmut schließen. Das aus Blau mit rötlichen Inkarnat-Tönen entwickelte Selbstbildnis von 1985 verdichtet Johanna Dorn ganz auf den Typus „Maler“, wobei die Selbstbildnisse Rembrandts Pate standen.
Aufhellung und Auflockerung der Bildstruktur kommen wohl am besten im Gruppenbild der „Familie Wally“ (1986) und im Doppelbild „Reinhard Mayr und Brigitte Fladerer“ (1987) zur Geltung; beim Gruppenbild auch insofern, weil es wie aus zwei Doppelbildnissen zusammengefügt erscheint.

Werfen wir noch einen Blick auf die Landschaften und Stilleben der beiden Perioden, wobei zu bemerken ist, dass die Stilleben – wenn die Auswahl der Bilder zuverlässig ist – erst zu diesem späten Zeitpunkt auftreten. Da wäre hinzuweisen auf das fesselnde Motiv der ein Tor bildenden „Zwei Bäume“ (1967), koloristisch aus den vier Hauptfarben und ihrer Mischung im Braun der Baumstämme und des Geästes architektonisch gefügt, und auf die beiden eindrucksvollen Aquarelle „Schiff im Hafen von Jesolo“ (1976) und „Der Inn bei Wernstein“ (um 1980).

Die Serie der Orts- und Städtebilde beginnt mit dem 1972 gemalten Bild „Wernstein I“. Sein satter, auf Grün und Blau abgestimmter Farbklang erinnert an einen in beschauliche Ruhe übersetzten Lovis Corinth. Beim Stadtbild von Steyr (1978) wird das Verdrängen der Raumperspektive – „der stehende Fluß“ – besonders spürbar. In den so fruchtbaren achtziger Jahren entfaltet sich auch die Landschaftsmalerei zu voller Breite. Jetzt holt Johanna Dorn auch an Reisen nach, was ihr früher aus wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen weitgehend versagt geblieben war. An Steyr schließen vorerst noch in Österreich „Salzburg“ (um 1981) und „Mödling“ (um 1982) an, ein Bild, das wegen der Sorgfalt seiner farblichen und formalen Durcharbeitung  besticht. Dann folgen die beiden, einem großen Vorbild nacheifernden Hafenbilder von „Hamburg“ (1982, 1983) die Engelsburg in Rom“ und „Prag“ (beide 1983). Bei „Hamburg“ stellt sich natürlich sofort der Bergleich mit Oskar Kokoschkas Gemälde ein, noch dazu, weil der Standort der anspruchsvollen Malerin derselbe war, den O. K. seinerzeit (1951) eingenommen hat. Aus dem Rom-Bild spricht architektonisches Einfühlungsvermögen.
Die letzten Ortsbilder führen wieder zurück in die engere Heimat: Nach „Schärding“, wo eine Marktszene eingefangen wird (um 1984), und in zwei Varianten nach „Vornbach“ jenseits des Inn, das eine Mal erschaut im gelbgrünen Kleid des Frühlings (1983), das andere Mal (1987) großzügig zu einer ballenförmigen, buntfarbigen Struktur mit blauweißer Betonung gefügt. Unter den Stilleben sei verwiesen auf die beiden wirkungsvoll vor schwarzen Grund gesetzten Blumenbilder „Tulpen und Freesien“ (1978) und „Blumen“ (um 1983) in blauer Vase. Als Beispiele für die Themen Obst- und Fisch-Stilleben mögen die Bilder „Zitronen“ (1983) und „Fische“ (um 1985) dienen. Beide zeichnen sich durch hohe koloristische Werte aus. Bleibt noch die Erwähnung der köstlichen Bilder „Puppen“ (1978) und „Beim Friseur“ (1985). An ihnen ist, abgesehen von der Sicherheit im Kolorit, die Kunst der Vereinfachung, Verdichtung und Schilderung zu bewundern.

Das letzte Jahr

„In letzter Zeit eröffnen sich mir neue Möglichkeiten in der Verdichtung von Farbe und Ausdruck. Als Beispiel dafür mag gelten: Sitzender mit weißer Kappe. Darüber etwas auszusagen wäre heute jedoch verfrüht“.
Bevor auf diese Feststellung Johanna Dorn eingegangen wird, sei die volle Aufmerksamkeit auf das Damenporträt „Dr. Veronika Erich“ gerichtet, das ebenfalls im Jahr 1988 entstanden ist, weil es bei hauchzarter Rückwendung zum Naturalismus in letzter Reife jenen Stil verkörpert, den die Künstlerin in den achtziger Jahren erreicht hat. Ein ungemein vornehmer, ins Braun transponierter Farbklang (ohne Blau) verbindet sich mit einer Feinheit der Pinselführung und Behutsamkeit des Farbauftrages, wie dies erst durch die Bilder in „Strichmanier“ möglich wurde. Das Bild destilliert gewissermaßen aus einem langen künstlerischen Reifeprozeß auf höchst sensible Weise das Element der Vergegenwärtigung von Klarheit, Reinheit und Zartgefühl eines weiblichen Wesens heraus und setzt damit in dieser Entwicklung einen Schlusspunkt.
Um so erstaunlicher ist der Umschwung, den die Malerei Johanna Dorns in ihren letzten Bildnissen nimmt. Die von ihr erreichte Verfeinerung in Form, Farbe und Ausdruck schlägt in eine elementare, geradezu gewalttätige Monumentalität um, die im ersten Augenblick schockiert. Die Figuren wachsen ins Riesige bei Reduzierung auf das Notwendigste. Gleichzeitig erfährt die Farbigkeit eine unerhörte, bildbeherrschende Steigerung. Bei den Männerbildern („Mann mit weißer Haube“, „Herr in Badehose“) schreit das Gelb, beim letzten Selbstporträt beherrscht Blau, begleitet von gelb-roten Signalen, das Bild. Was kann die Künstlerin zu dieser radikalen Wende ins Elementare bewogen haben, obwohl „Verdichtung von Farbe und Ausdruck“ m.E. doch auch das negative Moment der Vergröberung in sich schließt?
Was die Farbe anlangt, ist das Bestreben zur extremen Steigerung in Richtung der intensivsten Lichtfarbe Gelb evident. Aus dem Willen zur kräftigen Farbe, der die Bilder Johanna Dorn-Fladerers von Anfang an beseelt, den vier bunten Hauptfarben Vorrang einräumt und schließlich zu einer Durchlichtung und Auflockerung führt, vollzieht sich auch die letzte Entwicklung folgerichtig und verstehbar. Nur dieser sprunghafte Wechsel ins Grell-Buntfarbige mit vorherrschendem Gelb verblüfft. Dabei sind die Farben an einfache geometrische Formen und großflächig an die menschliche Gestalt gebunden. Flächenfüllend wurden auch schon früher die Gestalten ins Bild gesetzt, doch nie auf so „aufreizende“ Weise.
Der Versuch, diese Wende zu deuten, hat wohl davon auszugehen, dass die hochbegabte, stets um Vervollkommnung ihrer Kunst ringende Malerin einen neuerlichen Vorstoß unternahm, um sich „in der Verdichtung von Farbe und Ausdruck“ schlagkräftigere Möglichkeiten zu erschließen. Sie glaubte, dies durch äußerste Steigerung der Lichtfarben in Vereinigung mit der einfachen, großen Form zu erreichen, und ahnte nicht, dass es ihr letzter Versuch war in der unstillbaren menschlichen Sehnsucht nach dem „Ewigen Licht“.

Eine Vorahnung – die letzte Arbeit von Johanna Dorn?


© 2009 Familie Thomas Fladerer und Verlag Wiesner Medien